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Der "Arc" 2018 - eine Bilanz

Autor: 

Catrin Nack

TurfTimes: 

Ausgabe 539 vom Freitag, 12.10.2018

Am Ende wurde es noch ganz knapp: Enable und Frankie Dettori konnte die heranstürmende Sea of Class gerade noch abwehren, Waldgeist (grün-rot) wird guter Vierter. Foto: John James ClarkAm Ende wurde es noch ganz knapp: Enable und Frankie Dettori konnte die heranstürmende Sea of Class gerade noch abwehren, Waldgeist (grün-rot) wird guter Vierter. Foto: John James ClarkSie kam, sie sah, sie siegte. Wir kamen, erhaschten einen kurzen Blick und wussten doch, dass wir etwas Großem beigewohnt hatten. Zwei Stuten, deren Herz, Talent und Leistungsbereitschaft für fabelhafte 2½ Minuten alles um uns herum vergessen machte, sorgten für eine epische Austragung des 2018er Prix de l'Arc de Triomphe. Nach ihrem Sieg in Chantilly ist Enable nun auch die Königin von Paris-Longchamp; leider konnte die Rennbahn selber diesem wunderbaren Pferd nur teilweise gerecht werden.

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Ließen sich feiern: Enable und Frankie Dettori nach der Wiederholung ihres Vorjahreserfolges im Prix de l'Arc de Triomphe. Foto: John James ClarkLießen sich feiern: Enable und Frankie Dettori nach der Wiederholung ihres Vorjahreserfolges im Prix de l'Arc de Triomphe. Foto: John James ClarkEs war das Wochenende der Kontraste. Kontraste beim Wetter, welches mit strahlendem Sonnenschein begann und sich genau an diesem ersten Sonntag im Oktober zu einer Pause seines goldenen Herbstes entschloss. Kontraste oder Differenzen im Erlebnis der Rennbahnbesucher, welche zu großen Teilen ihr ganz persönliches Waterloo erlebten, positive Stimmen, die es natürlich gab,  waren dagegen ungleich seltener zu hören oder lesen. Salopp gesprochen: oben hui unten pfui.  Zwei gaben alles, um ihren Partnern das perfekte Rennen zu servieren, und der kurze Abstand, die am Ende über Sieg und Niederlage entschied, sandte den einen in jubilierende Höhen, den anderen in frustrierte Verzweiflung – so near yet so far. „Ich war noch nie so enttäuscht, eine Million gewonnen zu haben“, bekannte auch Christopher Tsui, Besitzer des unterlegenen Pferdes Sea of Class, während das Team um Enable die Süße des Augenblicks voll auskostete.

Es war das Wochenende der Familien. Der Familie der Urban Sea. Über Galileo bzw. Sea the Stars führen die ersten acht- platzierten Pferde diese legendäre Renn- und Zuchtstute an prominenter Stelle in ihrem Pedigree. Enable, aus der Zucht des Prinzen Khalid Abdullah stammend, reihte sich ein in die Parade großer Pferde aus dessen legendären Zuchtstätte Juddmonte Farm. In dritter Generation dort beheimatet, hat das Pedigree der Nathaniel-Tochter auch deutsche Elemente: väterlicherseits  über die bereits erwähnte Urban Sea; unter der vierten Mutter Fleet Girl findet man als Züchter zudem  einen gewissen Herbert Schnapka, dessen Gestüt Nehmten  zu Hoch-Zeiten immer auch Heimat von Vollblütern war.  Enables Vater Nathaniel, auf Newsells Park beheimatet, wurde ebenfalls von John Gosden trainiert. "Dieser Sieg ist nicht für mich oder Frankie Dettori", erläuterte ein gewohnt eloquenter Gosden bei der Pressekonferenz, "dies ist ein Sieg für Prinz Abdullah, dessen Unterstützung für den französischen Rennsport ganz zu den Anfängen seiner Rennsportleidenschaft in den 50iger Jahren zurück reicht. Er ist heute hier, und dies ist sein Sieg." Vertreten wurde der seit langem gesundheitlich beeinträchtigte Prinz bei der Siegerehrung durch seinen ältesten Sohn, erste Anzeichen, dass die Leidenschaft Galopprennsport vielleicht doch eine weitere Generation in ihren Bann gezogen hat.

Im Hause Gosden ist die Nachfolge dagegen bereits geregelt. Seit geraumer Zeit wird John Gosden, dessen Vater John „Towser“ ebenfalls ein erfolgreicher Trainer war, zu allen Rennmeetings von Sohn Thaddeus begleitet. Der 23jährige hat erste Erfahrungen in Amerika und Australien gesammelt, kein anderes von Gosdens Kindern ist so vom Rennsportvirus befallen wie er. Dabei sind alle vier Kinder auch von der Mutterseite „belastet“, Gosdens Frau Rachel Hood,  lange Jahre als Anwältin tätig, zeichnet als Besitzerin und Züchterin diverser talentierter Pferde, darunter u.a. Crazy Horse, der vor Wochenfrist – in neuem Besitz – in Düsseldorf an den Ablauf kam. Hood engagiert sich zudem in der englischen Besitzervereinigung,  und bei „Save Historic Newmarket“  in einer Vereinigung, die versucht, das historische Erbe der Stadt Newmarket zu bewahren, und sich hier vor allem gegen die Bebauungspläne keines Geringeren als Lord Derby stemmt.  Hier trainiert Gosden, der mit beachtlichem Erfolg auch in den USA agierte, seit 1989; 1991 übernahm er Stanley House Stables, war danach einige Jahre in der legendären Trainingsstätte Manton, die heute zumindest teilweise von Brian Meehan belegt ist, beheimatet und zog mit der Saison 2007 zurück nach Newmarket, wo er seitdem aus den berühmten Clarehaven Stables agiert. Seit 2017 tritt er verstärkt auch als Berater von Godolphin auf, und zeichnet in deren Namen diverse Auktionskäufe. Gosdens weitere Leidenschaft gilt Musik und Theater, er ist ein ausgemachter Bob Dylan-Experte und nutzt die relative Nähe zu London angeblich wöchentlich, um eine Oper oder das Theater zu besuchen oder eine Band zu sehen.

Es war das Wochenende der verpassten Chancen. Schon der Renntag um die Arc-Trials hatte die Warnsignale allzu deutlich gesandt, leider entschloss sich der französische Rennsport, nicht zu lauschen. So kam es besonders am Sonntag zum prognostizierten Chaos, trotz deutlich gesunkener Zuschauerzahlen (offiziell kamen rund 35.000 Besucher, verglichen mit ca. 50.000 bei Golden Horns Sieg, dem letzen im alten Longchamp); es gab von nichts zu viel und von allem zu wenig. Deutsche und englische Fans waren sich in ihrer Kritik einig, und fanden deutliche Worte. Die Racing Post widmete den unzufriedenen Besuchern sogar eine Titelstory: Bier, Wein und Milch (für Kaffee) waren bereits vor dem „Arc“, der als viertes Rennen der Karte gelaufen wurde, ausverkauft und erst zum achten Rennen wieder erhältlich. Wettkassen - stationär und mobil – gab es viel zu wenige, die Wettautomaten bereiteten den unerfahrenen Wettern die erwarteten Schwierigkeiten.

Die Schlangen vor den Toiletten waren endlos, und während leidgeprüfte Rennbahnbesucher auf englischen Großveranstaltungen wie Cheltenham oder Aintree zuweilen den Besuch des Führrings, des WCs, der Bar UND der Wettkasse nicht in eine Rennpause pressen können, so war man im neuen ParisLongchamp schon froh, wenn man vor dem nächsten Rennen eine Toilette ergattert hatte, „ ich trinke lieber gar nichts, damit ich nicht auf Toilette muss“, sagte mir nicht nur ein verärgerter Gast. Vielen war der Zugang zum Führring verwehrt, hier war eine teure Extra-Karte nötig, so dass der Blick auf die Pferde vor dem Rennen zu einer Art Luxus wurde. Die einzelnen Bereiche waren unzureichend gekennzeichnet, „statt zu helfen, waren die Ordner vor allem damit beschäftigt, uns zu sagen, wo wir NICHT hindurften“, zitierte die Racing Post einen englischen Fan. Die leichten Regenschauer am Morgen reichten, um die neuen Rasenflächen nicht mehr ganz so elegant aussehen zu lassen, was sich auf die Teakholz-Treppen, die einzige Sitzgelegenheit in der 75€ teuren „Finishing Line Enclosure“, ausweitete. Die Durchgänge von der Vorderseite der Tribüne gen Führring erwiesen sich als unzureichend, vereinzelte Treppen als zu steil, die gerade ältere Besucher vor deutliche Probleme stellten; zusammen mit den Schlangen vor den Toiletten, die z.T. genau vor (oder hinter) den Aufgängen positioniert waren, wurde hier der freie Durchgang zusätzlich erschwert. Kurz: architektonisch ein Highlight und optisch ein Hingucker, aber mit gravierenden Abzügen in der B-Note.

Verpasste Chancen auch für Team Ballydoyle. Kein einziger Sieg für Meistertrainer Aidan O'Brien (oder Jockey Ryan Moore).  Im Arc selber, trotz fünf Startern, war Capris fünfter Platz die beste Platzierung. Wann hatte man das zuletzt erlebt an diesem Wochenende?

Und doch: wir werden wiederkommen. Wir alle werden wiederkommen.   Denn wir haben ein großes, ein wunderbares Pferderennen gesehen. Enable, die alle Widrigkeiten des Jahres überkam, als erst sechstes Pferd in der Geschichte des Prix de l'Arc de Triomphe zur zweifachen Siegerin avancierte. Die seit ihrem Sieg im Oktober 2017 nur einziges Rennen - „ein Canter in Kempton“ wie Frankie Dettori verächtlich bekannte -  auf einer Sandbahn bestritten hatte, rund drei Wochen vor dem Arc. Die in diesen drei Wochen einen weiteren Rückschlag erlitten hatte, wie Gosden erst kurz vor dem Arc bekannt gab. Die jede Faser ihrer Klasse, jede Faser ihrer Energie, ihres Willens, geben musste, „wir hatten eine gute Position, aber erst zu Beginn der falschen Gerade kam Leben in das alte Mädchen. Da wusste ich, wir waren wieder im Geschäft. Ich habe solange gewartet, wie ich konnte, … ich ließ die Peitsche sinken und versuchte, das letzte bisschen Energie aus ihr zu pressen.“

Und Sea of Class, die in der Niederlage das Rennen ihres Lebens lief, in gewohnter Manier das Feld von ganz hinten überrollte und beinahe, aber eben nur beinahe ihre große Gegnerin besiegt hätte. Jockey James Doyle reflektierte die Niederlage später mit ausgewogenen Worten, „es war ein herzzerreißendes Gefühl, denn es ist eine echte Team-Leistung, und ich fühlte mich so schlecht für alle. Doch dies ist ihr Stil, ich muss zu Beginn Energie konservieren, damit sie am Ende fliegen kann, und alle - auch Lester Piggott [Schwiegervater des Trainers William Haggas] - haben mir geraten, auf keinen Fall etwas zu ändern, nur weil es ein anderes Rennen ist.“  Die werden die Bilder sein, die wir erinnern, die kapitale, selbstbewusste braune Enable, und die zierliche, so viel femininere  Sea of Class, die einem goldenen Pfeil gleich durchs Feld schießt, ein atemberaubendes Finish; zwei famose Athleten,  die sich willig von uns formen lassen, ohne sich unserer Bewunderung und Projektionen auch nur im Geringsten bewusst zu sein. Darum werden wir wiederkommen.

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